Festivalthema
Objektmusik

Die Vokabel Objektmusik verbindet zwei Gegensätze: das Unbewegliche, Feste und Musik, das sich in der Zeit Bewegende. Das Thema zielt auf Musik, die mit dem musikalischen Grundparameter Zeit in einer grundsätzlich paradoxen Weise umgeht.

"Objekt" provoziert eher die Assoziation von Gegenstand in einer Räumlichkeit ohne Zeit. Das Paradox der Zeitlosigkeit zumal als Arbeitsgegenstand im musikalischen Kontext kommt einer Sisyphusarbeit gleich, die aber exakt dadurch und stärker als in anderen Zusammenhängen die Untrennbarkeit von Raum und Zeit deutlich und vor allem erlebbar macht. Gerade zeitlos wirkende, statische Musik fokussiert ihre Vergänglichkeit und deutet damit auf den Ablauf unserer Lebenszeit, die sich beim Hören von Musik so komprimiert und körperlich abbildet wie sonst kaum.

Musiker und Komponisten, die Musik vor diesem Hintergrund schreiben und spielen waren und sind dem Verdacht der "Unsinnlichkeit" ausgesetzt. Dabei ist zumeist weniger ein klanglich-harmonischer Aspekt gemeint, als eher der rhythmische und vor allem der formale, also der zeitliche.

Um in der Musik etwas Objekthaftes zu etablieren, einen objekthaften Raum zu schaffen muss mehr oder weniger stark auf das "Schmiermittel" zeitlicher Gerichtetheit verzichtet werden. Treibendes oder Schleppendes und jede Art von rhythmischer Steigerung gehören eher zu den entwickelnden, variierenden oder erzählerischen Mitteln der Musik. Vor allem diese sind vielen Menschen gleichbedeutend mit Subjektivität, Ausdruck oder Emotionalität. Ihr Fehlen erzeugt bei entsprechender Erwartungshaltung Langeweile. Die "lange Weile" ist aber im positiven Sinne genau das, was Musik auszeichnet, die die Zeit sozusagen unters Mikroskop legt.

Die Tatsache der langsamen Veränderungen ist in vielen funktionalen Musiken, vor allem vor allem in Form von Wiederholungsmustern, seit jeher der Normalfall. Von religiös-spirituellen und rituellen Zeremonien, über das nur scheinbar krasse Gegenteil in Tanzmusiken, wie z.B. Techno und seine Nachfolgern bis hin zu der für viele Menschen entspannenden Wirkung von dezenter Hintergrundbeschallung in Fahrstühlen, Büroräumen und Kaufhäusern. Musik dient in allen Fällen als Mittel für etwas anderes und was dem einen Versenkung bedeutet ist dem anderen Zerstreuung.

Die Radikalität des Zeit-Forschens und -Erlebens in absoluter Musik, die den Anspruch erhebt für sich zu stehen ist nach wie vor genau so verstörend wie faszinierend. Die Klangmaterialien sind eher monochrom, bleiben bei sich, zeigen verschiedene, komplexe Aspekte ihrer selbst und gehen Konstellationen mit anderen ein. Der die abendländisch Musik seit Jahrhunderten bestimmende Moment der Entwicklung hingegen ist solch einer Objektmusik fremd.

Neben vielen anderen Spielarten, entwickelte die serielle Musik des 20. Jahrhundert ausgehend vom konstruktivistischen Aspekt der abendländischen Tradition über einen streng strukturellen Ansatz eine hoch artifizielle Form zeitlich ungerichteter und ihre Verläufe in den Klangraum projizierende Musik. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang auch Arbeiten des seriellen Antipoden John Cage, die das So-Sein auch ganz alltäglicher Klänge und damit ein zeitlich und räumlich ungerichtetes Hören zelebrieren.

Objektmusik meint aber im Zusammenhang der Klangwerkstatt 2011 nicht nur einen innermuskalischen, strukturell Umgang mit Zeit und der Überführung klanglicher Verläufe ins Räumliche eines sozusagen architektonischen Hörens. Es ist damit auch die äußere Begrenztheit gemeint, die eine Objekt ausmacht. Insofern unterscheidet sich die Idee solch einer Musik von Klanginstallationen, bei denen es meist der Hörer ist, der durch die Dauer seiner Anwesenheit den zeitlichen Rahmen, also die Grenzen des Klang-Objekts erst erschafft.

Neben Werken, die auf den oben beschriebenen Hintergründen entstanden und entstehen kommen in der Klangwerkstatt 2011 auch Aspekte zur Geltung, die den Begriff des Objekts ganz direkt und geradezu haptisch auffassen. Zu hören sein wird Klang, der nur deshalb erzeugt wird, weil das Objekt Musikinstrument bearbeitet wird oder Musik, die aus dem Aufeinandertreffen von Mensch und Maschine entsteht, das leblose, unbewegliche Objekt konfrontiert wird mit dem lebendigen, chaotischen Subjekt. Sich übers Jahr entwickelnde(!) Projekte zum Thema werden nochmals neue Aspekte zeigen und Jungendensembles werden in einem Workshop Musik im direkten Gegenüber mit der Bildenden Kunst Objekte bauen und Strategien der Verbindung von Hör- und Sichtbarem erarbeiten.

Objektmusik soll aber nicht zuletzt auch eine Art des Blicks sein. So sollen Werke in das Festival eingebunden werden, deren Ansatz und Ausformung womöglich ganz im Gegensatz zur Idee einer Objekthaftigkeit stehen. Ganz unstatische musikalische Verfahren und Erlebnisräume, deutliche Prozesse und Ableitung oder spontaneitistisch und emotional Geladenes sollen in einen Raum gestellt werden, in denen man ihnen als Musik-Objekte gegenübertreten kann. Die Institution des Konzerts selbst wird zum Zeitobjekt und wird als Zustand begriffen.