Kunstquartier Bethanien, Studio 1

Sonntag 7.11., 11.00 Uhr – Videodokumentation

Dreigeteilt ist ganz halbiert

Freie Jugendorchesterschule Berlin

© Leveke Schütte
© Leveke Schütte

Programm

  • Klaus Kühling
    Sechs Bilderbögen(1962)
    für KinderstreichorchesterNachwuchsorchester der FJOSB | Jobst Liebrecht – Leitung
  • Iris ter Schiphorst
    Klangrätsel(2010)
    für Jugend- oder Laien-StreichorchesterStreicher:innen des JSO der FJOSB | Jobst Liebrecht – Leitung
  • Elisa Franke
    Das Büro unter der LupeUA(2019)
    für freies EnsembleSchüler:innen der Blockflötenklasse Feldmann | Jobst Liebrecht – Leitung
  • Rainer Feldmann
    wenn du nicht mehr weißtUA(2021)
    für Gitarrenensemble und Harfe, Texte von Tobias FeldmannEnsemble StringTime | Rainer Feldmann – Leitung
  • Jan Müller-Wieland
    Ein Traum, was sonst (frei nach Kleist und Kafka)(2008)
    für OrchesterJugendsinfonieorchester der FJOSB | Jobst Liebrecht – Leitung
  • Detlev Glanert
    Nächtliche Flussfahrt mit Spottlied(2008)
    für Blasorchester | Bearbeitung: Martina FeldmannBläser:innen des JSO der FJOSB | Jobst Liebrecht – Leitung
  • Jobst Liebrecht
    Sinfonie Nr. 3 MelbourneUA(2017/18)
    für Soundfiles und OrchesterJugendsinfonieorchester der FJOSB und Gäste | Jobst Liebrecht – Leitung | Soundfiles: Till Rotter
    1. Swooped by a maggie
    2. Leaving Australia over Perth
    3. Frogs in a pond
    4. Song for Oz

Freie Jugendorchesterschule Berlin

Orchester und Ensembles der Freien Jugendorchesterschule Berlin
Leitung: Martina Feldmann, Rainer Feldmann, Jobst Liebrecht


Was macht ein Orchester, das nicht zusammen proben kann? Die Kinder und Jugendlichen der Freien Jugendorchesterschule Berlin haben aus der Not eine Tugend gemacht. Sie teilten das Orchester in Register auf. In kleinen Ensembles der einzelnen Stimmgruppen wurden musikalische Projekte entwickelt, ausprobiert und geprobt. Entstanden ist ein höchst abwechslungsreiches, experimentierfreudiges Programm, das einen weiten Bogen spannt.

Den Auftakt machen die Sechs Bilderbögen von Klaus Kühling (1933–2013) – kleine, für Kinder gut fassbare Charakterstücke. Die FJOSB möchte mit diesen auch an den leidenschaftlichen Schulmusiker und Musikpädagogen Kühling erinnern, der Generationen von Kindern in Köpenick und Hellersdorf musikalisch prägte.

Auf ein ganz anderes Terrain begeben sich die jugendlichen Streicher:innen der FJOSB im Stück von Iris ter Schiphorst (*1956). Klangrätsel lautet der Titel – und genau darum geht es: Wer spielt den Klang, den ich sehe? Wer hört das Geräusch, das ich spiele? Das Stück fordert die Jugendlichen heraus, sich auf instrumentale, gesprochene und gesungene musikalischen und/oder theatralischen Aktionen einzulassen.

Auch die Berliner Schülerin Elisa Franke (*2004) experimentiert damit, was alles unter dem Begriff der Musik zu fassen ist: nicht nur der vollkommene instrumentale Klang, sondern auch schauspielerische Elemente, rhythmische Melodien und die Geräusche von Alltagsgegenständen. Das Büro unter der Lupe ist wie ein kleines Schauspiel, in dem die Musiker:innen verschiedene Rollen in der Eintönigkeit des Büroalltags übernehmen.

Wenn du nicht mehr weißt wurde dem Gitarrenensemble von seinem Leiter Rainer Feldmann (*1957) auf den Leib geschrieben und um eine Harfe erweitert. Die Idee zu dem teilweise improvisatorischen Stück entstand zunächst aus der pandemiebedingten Notwendigkeit, die Probenarbeit gänzlich digital durchzuführen. Beeinträchtigungen der künstlerischen Arbeit durch die erzwungene Nutzung gängiger Kommunikationsplattformen gaben die kompositorische Richtung vor: verschiedenste Module (Solisten, kleine Gruppen, Sprache) bestimmen locker synchronisiert den Verlauf. Glücklich zurückgekehrt in einen normalen Probenmodus konnte die vorliegende Fassung unter Mitwirkung aller Mitglieder des Ensembles zu einem konzentrierten Miteinander von Musik und Wort werden.

Ein Traum, was sonst (frei nach Kleist und Kafka) von Jan Müller-Wieland (*1966) erscheint wie ein Stück geordneter Revolte: Zunächst lyrische Klänge werden durch rhythmisches Gebrüll der Musiker:innen aufgebrochen. Frei nach Kafka und Kleist wird gemeinsam skandiert, ohne eine wirkliche Richtung vorzugeben. Müller-Wieland schreibt: „Sowohl Traum als Hoffnung, als auch Traum als Angstzustand und Todesgewissheit ist gemeint“.

Genau wie Müller-Wielands Stück entstand auch Detlev Glanerts (*1960) Nächtliche Flussfahrt mit Spottlied für Blasorchester im Auftrag der Hans-Werner-Henze-Musikschule Marzahn-Hellersdorf. Geradezu greifbar wird in der Musik die nächtliche Welt auf dem Fluss, die eine Lagerfeuergesellschaft erlebt, bis der heranbrechende Tag am Horizont sichtbar wird. Angesichts dreier ausgefallener Orchesterlager in Mecklenburg mit ihrer unvermeidlichen „Romantik“ am See und einer Halloweenwanderung durch den Wald sollten die jugendlichen Bläser:innen der FJOSB wenigstens musikalisch einen Ersatz bekommen, der die Lust auf kommende Fahrten und Konzerte wieder (er-)weckt.

Zum Abschluss des Konzerts versammelt sich zur Uraufführung von Jobst Liebrechts (*1965) groß besetzter Sinfonie Nr. 3 Melbourne das Jugendsinfonieorchester der FJOSB in ganzer Besetzung. Die Sinfonie, entstanden 2017/18, entführt ins ferne Australien, das der Komponist in mehreren Reisen kennenlernte.

Der 1. Satz Swooped by a magpie führt in die überwältigende Natur Australiens, insbesondere in die Vogelwelt. Die Klänge des Orchesters mischen sich mit Soundfiles von Vogelaufnahmen, eine einfache diatonische Melodie erinnert von Ferne an Beethovens Pastorale. Der schnelle Hauptteil erzählt die Geschichte eines Spaziergängers, der von einer Elster aufgescheucht wird. Zugleich ist er wie eine globale Großstadtmusik mit Klängen aus Varieté, Orient und Abendland.

Der 2. Satz Leaving Australia over Perth bewegt sich zwischen dem Schmerz beim Abschied vom Kontinent und der Großartigkeit der Landschaft beim Überfliegen.

Das kurze Scherzo Frogs in a pond spielt im Titel auf ein traditionelles australisches Dessert für Kinder an. Verschiedene Musiken spielen hier durcheinander, darüber liegt als Kontinuum der reale Klang von australischen Fröschen.

Der 4. Satz Song for Oz ist ein heiteres Finale mit Untertönen. Stadionklänge aus dem Melbourne Cricket Ground und aus der Rod Laver Arena mischen sich mit hinein.

Die Soundfiles hat Jobst Liebrecht im Winter 2020/21, gefördert von Jeunesses musicales, zusammen mit dem Tonmeister Till Rotter bearbeitet, editiert und gemischt. Die verwendeten Klänge wurden in Melbourne aufgenommen von: Ambika, Callum, Dirk & his Sons, Holly und Dave, Lilly, Noemi und Sachar, Rosy. Ihnen gilt der Dank des Komponisten.