Kunstquartier Bethanien, Studio 1

Samstag 12.11., 12.30 Uhr – Videodokumentation

Tafelmusik und Mittagsimbiss aus Deutschland

Ensemble JungeMusik Berlin & Duo Sonoro Kiew als Gast aus der Ukraine

© André Fischer
© André Fischer

Programm


  • Prolog Ukraine
  • Vitalii Vyshynsky
    CAGE. Meditation on strings and beyond them(2015)
    für Violine und Klavier

  • Deutschland
  • Johannes Boris Borowski
    SchwanUA(2022)
    für Sopran und Klavier
  • Georg Katzer
    über-des oder: Material für einen höheren ZweckUA der rekonstruierten Fassung(1974)
    für Oboe soloRekonstruktion des verloren gegangenen Notentextes von Maxim Kolomiiets
  • Friedrich Goldmann
    Solo für Oboe(1972)
  • Jörg Mainka
    Anschlags-Kultur(1986)
    Musikalisches Szenario für einen Darsteller, Klavier und Kleine Trommel

Duo Sonoro Kiew

Andrii Pavlov – Violine | Valeriia Shulga – Klavier
&

Ensemble JungeMusik Berlin

Yvonne Friedli – Sopran | Tristan Breitenbach – Darsteller | Maxim Kolomiiets – Oboe | Kaspar Querfurth – Trommel | Nadezda Tseluykina – Klavier
Gesamtleitung: Helmut Zapf


Mitglieder des Ensemble JungeMusik Berlin präsentieren täglich Musik aus einem anderen Land. Zu hören sind an diesem Tag Kompositionen aus Deutschland. Dazu wird ein landestypischer Imbiss gereicht.

Besonders freuen wir uns, aus gegebenem Anlass und als täglichen Höhepunkt, dass das Duo Sonoro aus Kiew bei der Tafelmusik zu Gast ist. Der Geiger Andrii Pavlov und die Pianistin Valeriia Shulga führen in einem Prolog zu den Länderportraits an jedem Tag eine Komposition von ukrainischen Komponist:innen auf. Im Zeichen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist es uns wichtig, der ukrainischen zeitgenössischen Musik einen Raum zu geben und auf diese Weise dazu beizutragen, Kunst und Kultur der Ukraine sichtbar zu machen. Das Duo Sonoro ist Teil der heute außerordentlichen vielfältigen und lebendigen Musikszene, die sich seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 in Kiew und vielen anderen Städten entwickelte.

Das Duo Sonoro wurde vor mehr als zehn Jahren als festes Ensemble gegründet. Der sich entwickelnde internationale Ruf des Duos wurde durch Spitzenpreise bei internationalen Wettbewerben bestätigt. Es konzertierte an den wichtigsten Veranstaltungsorten in der Ukraine wie der Kiewer Philharmonie, der Philharmonie von Odessa, der Oper von Lwiw und der Oper von Charkiw sowie zahlreiche internationale Auftritte in Spanien, Deutschland, Litauen, Niederlanden, Italien, Österreich und Polen.

Darüber hinaus trat Andrii Pavlov trat als Solist insbesondere mit dem Radio-Symphonieorchester Wien, dem Nationalen Symphonieorchester der Ukraine, der Lemberger Philharmonie, dem New Era Orchestra und den Kyiv Soloists auf. Valeriia Shulga konzertiert in anderen Kammermusikgruppen und ist auch als Konzertmeisterin tätig. Beide Musikerinnen unterrichten seit kurzem an einer der ältesten Musikhochschulen Osteuropas, der Reinhold Glier Municipal Academy of Music in Kiew.

Am heutigen Tag bringt das Duo Sonoro ein Stück von dem ukrainischen Komponisten, Musikwissenschaftler und Pianisten Vitalii Vyshynsky (*1983) mit. Vitalii Vyshynsky schrieb Orchester-, Instrumental- und Vokalmusik sowie Musik für das Theater. Seine Werke wurden in der Ukraine, Australien, Deutschland, Japan, Malaysia, Singapur, Spanien und den USA aufgeführt. Er ist außerordentlicher Professor an der Ukrainischen Nationalen Tschaikowsky-Akademie für Musik Kiew.

Über sein Stück CAGE. Meditation on strings and beyond them (2015) für Violine und Klavier schreibt Vyshynsky: „Man kann den Titel auf verschiedene Arten interpretieren, die sich gegenseitig ergänzen. Zum einen kann er als Hommage an eine der überragenden kulturellen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, John Cage, gelesen werden; eine andere Interpretation lädt die Zuhörenden in einen intimen Raum der Reflexion, des Nachdenkens – der Meditation – ein. Das Ergebnis ist eine Reflexion über die Figur und das Vermächtnis von John Cage. Drittens kann uns die wörtliche Interpretation von CAGE zu den Begriffen der Begrenzung, der Abgrenzung und der Gewissheit führen, die nur durch den Kompositions- und Aufführungsprozess überwunden werden können. Schließlich kann jeder Buchstabe von CAGE eine musikalische Bedeutung haben (c, a, g und e), wobei die Interpretation durch die Tatsache unterstützt wird, dass das titelgebende Wort in Großbuchstaben geschrieben wird. Um die visuelle Metapher zu erweitern, kann man sich diese vier Buchstabenklänge als metaphysische/musikalische Winkel des Käfigs vorstellen, der wiederum als Bild für das Vermächtnis und die Figur von John Cage gesehen werden könnte.“ (Vitalii Vyshynsky)

Auf dem Programm des Ensemble JungeMusik Berlin steht Musik von deutschen Komponist:innen. Den Auftakt macht die Uraufführung des Liedes Schwan von Johannes Boris Borowski (*1979), der Komposition bei Hanspeter Kyburz und Marco Stroppa sowie Musiktheorie bei Jörg Mainka studierte und heute selbst an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin unterrichtet.

Mit den zwei Stücken für Oboe solo stehen zwei echte Raritäten auf dem Programm. Sie sind beide in den 1970er Jahren entstanden und stammen von zwei der wichtigsten Komponisten der ehemaligen DDR, Georg Katzer (1935–2019) und Friedrich Goldmann (1941–2009).

Bei Georg Katzers über-des oder: Material für einen höheren Zweck (1974) gingen im Laufe der Jahre die Noten verloren, allein eine Schallplattenaufnahme mit Burkhard Glaetzner hat sich erhalten. Mithilfe dieser Aufnahme rekonstruierte der ukrainische Komponist und Oboist Maxim Kolomiiets das Stück. Mit „des“ ist Paul Dessau gemeint – eine Hommage zu dessen 80. Geburtstag: klangschön, mit ganzen Ketten gewagter Intervallsprünge und extremen Tongebungen.

Auch Friedrich Goldmanns Solo für Oboe (1972) geriet in Vergessenheit. Helmut Zapf, Leiter des Ensemble JungeMusik Berlin, lernte es durch Zufall durch eine Aufnahme des vietnamesischen Oboisten Hoàng Mạnh Lâm auf YouTube kennen. Auch hier waren die Noten zunächst nicht auffindbar, erst im Goldmann-Archiv der Akademie der Künste Berlin wurde man fündig.

Jörg Mainka (*1962), Komponist und Musiktheoretiker, greift in seinem Schaffen – darin Mauricio Kagel nicht unverwandt – gerne zu ungewöhnlichen Mitteln und Strategien. Die Nähe zu Kagel lässt sich auch an seinem aktionistischen Stück Anschlags-Kultur von 1986 ablesen, einem „Musikalischen Szenario“ für Klavier, kleine Trommel und einen Darsteller. Es ist das Schluss-Stück eines Zyklus mit dem Titel Ein Scherbenhaufen musikalischer Kleinigkeiten. Rein musikalisch betrachtet entpuppt sich Anschlags-Kultur als kompositorische Farce: Gerade einmal etwa 90 Sekunden dauert das mit rhetorischem Ernst auf die Spitze getriebene und eigenwillig inszenierte Spiel mit einförmigen Achtelrepetitionen, die zunächst vom Klavier, dann vom Schlagzeug ausgeführt werden. Mainka bettet dieses ebenso penetrante wie vermeintlich stumpfsinnige Spiel der beiden Instrumentalist:innen jedoch in eine überraschende, dabei aber bis ins kleinste Detail festgelegte szenische Dramaturgie. Musikalischer Stumpfsinn, unkritische Hör- und festgefahrene Rezeptionsgewohnheiten geraten hier gleichermaßen ins Visier.