Kunstquartier Bethanien, Studio 1
Samstag 18.11., 19.00 Uhr – Videodokumentation
Fokus Duo II: Monoduo
Yukiko Sugawara & Tomoko Hemmi
Programm
- György Kurtág
Aus: Játékok(1973 – 1979)
für Klavier vierhändigKöd-kánon (Nebelkanon)Hommage à Soproni (in memoriam matris carissimae)Hommage à Halmágyi MihályTanulmány a „Hölderlin“-hez (Studie zu Hölderlin)Harangok, Hommage à Stravinsky (Glocken) - Helmut Lachenmann
Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert(1956)
für KlavierTomoko Hemmi - Helmut Lachenmann
Marche fatale(2016/17)
für KlavierTomoko Hemmi - Mark Andre
iv 1(2010)
für KlavierYukiko Sugawara - Stephan Storck
MonoduoUA der Neufassung(2021 – 2023)
für Klavier vierhändig - Astor Piazzolla
Libertango(1974)
Fassung für Klavier vierhändig(Zugabe) - Interview
Yukiko Sugawara im Gespräch mit Leonie Reineke
Yukiko Sugawara, Tomoko Hemmi – Klavier
Fokus Duo ist eine vierteilige Festivalreihe, die ausschließlich rein instrumentale Duokompositionen präsentiert.
Mit dem Klavierduo Yukiko Sugawara und Tomoko Hemmi kommen zwei der versiertesten Pianistinnen der zeitgenössischen Musik nach Berlin, die auf allen großen Konzertbühnen und Festivals zuhause sind. Sie bringen eine Rarität mit: das neue Werk für Klavier zu vier Händen von Stephan Storck. Storck, ehemaliger Schüler von Helmut Lachenmann, hat mit seinem Stück Monoduo vier musikalische Figurationen ganz unterschiedlicher Kategorien zum Ausgangspunkt genommen: Impuls und Nachklang, Welle, simultane Oktave und Repetition. Sie verweben sich zu komplexen Gebilden und behalten dennoch ihre Identitäten. Darum herum gruppieren sie ein Programm zentraler Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts, mit überraschenden Blickwinkeln und neuen Perspektiven. Von György Kurtag eine Auswahl aus seiner großen Sammlung Játékok der kleinen Stücke (seit 1973), einem heutigen Mikrokosmos. Von Mark Andre mit iv 1 (2010) eine Musik im Nanobereich mit spektakulären mikroskopischen Landschaften. Und zwei Klavierstücke von Helmut Lachenmann, die im Abstand von 60 Jahren entstanden sind: Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert (1956) und der Marche Fatale von 2017. Sie stehen so gar nicht für das, was Lachenmanns Musik gemeinhin ausmacht – den radikalen Bruch mit der Tradition und die Forderung nach einer „Nicht-Musik“, die sich den trügerischen Geborgenheiten des Alten verweigert. Und doch tragen sie diese bereits oder noch im Keime in sich.
György Kurtág: Aus: Játékok (1973 – 1979)
„Ich sabotierte die Musik, übte höchstens 5 – 10 Minuten in der Woche.“ So berichtet György Kurtág selbst über seine ersten kindlichen Konflikte mit beflissener Klavierpädagogik. Aber das zarte Pflänzchen eines keimenden Musikinteresses hatte noch Schlimmeres auszustehen: „Einmal hat man mich im Chor ermahnt, ich solle still sein, weil ich die anderen störe. Und seitdem, vielleicht auch im Zusammenhang damit, erlosch mein absolutes Gehör für Singstimmen, bis zum heutigen Tag.“ Offenbar waren dies alles aber lehrreiche Erfahrungen, denn in späteren Jahren wurde die hohe Kunst, Musik vermitteln zu können, die er als Kind so offenkundig vermisst hat, für ihn selbst zur wichtigsten Aufgabe. Der passionierte Lehrer Kurtág sagt heute von sich: „Ich verstehe Musik nur wenn ich sie lehre. Selbst wenn ich Musik höre oder spiele, ist es nicht dasselbe, als wenn ich daran arbeite, sie für andere verständlich zu machen. Ich liebe Musik einfach.“ So wird es dem Dozenten für Klavier auch sehr gelegen gekommen sein, dass die Klavierlehrerin Marianne Teöke ihn 1973 um einige Beiträge zu einem pädagogischen Sammelband anging. „Binnen kurzer Zeit hatte ich fast 200 Stücke geschrieben. In den drei Jahren zuvor habe ich dagegen gar nichts geschrieben.“
Mit den Játékok arbeitete Kurtág sich nicht nur aus einer kompositorischen Krise heraus, er stellt sich mit dieser Sammlung auch in eine Reihe mit Komponisten wie Bartók oder Bach, für die das Lehren und Vermitteln von Musik von den elementarsten Stufen an bis hin zum hochentwickelten Kunstwerk ein integraler Teil ihrer schöpferischen Arbeit war. Bach hat selbst Werke wie seine Goldbergvariationen oder die sechs Partiten noch unter dem Titel der Klavierübungen herausgegeben. Und Bartók hat in seinem Mikrokosmos nicht nur seinen Sohn ans Klavierspiel herangeführt, sondern auch die Grundbegriffe seiner kompositorischen Technik exemplarisch vorgeführt. Allen drei Komponisten ist gemeinsam, dass sie ihre ‚pädagogischen‘ Werke als Herausforderung begriffen haben, die Grundlagen ihrer musikalischen Sprache so deutlich und unmittelbar zu formulieren, dass sich auch Anfängern und Kindern ein direkter Weg zum Ganzen ihrer musikalischen Welt eröffnet. Es ging und geht hier niemals bloß um Übestücke, sondern stets um Modellfälle.
Ilja Stephan (Programmhefte Rheingau Musik Festival, August 2004)
Helmut Lachenmann: Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert (1956)
Das bürgerliche Denken ist gekennzeichnet durch ein hochentwickeltes System von Verdrängungsmechanismen, welche die Isolation, Entfremdung, Angst und Sprachlosigkeit des Individuums überspielen sollen. Unser Kulturbetrieb ist ein wesentlicher Teil dieses Verdrängungssystems. In diesem Sinn hat er die Tradition in Beschlag genommen: die Illusion einer in Wirklichkeit längst verlorenen gemeinsamen Verständigungsbasis bewahrt er durch die Konservierung und Fetischisierung historischer ästhetischer Kategorien und daran gebundener Wertvorstellungen; als Synonym für tabuisierte Konvention bildet Tradition heute einen verräterischen Teil dieser unserer Wirklichkeit.
Die Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert sind 1956, also noch vor meinem Studium bei Nono, entstanden. In ihnen ist jener oben ausgeführte gesellschafts- und kulturbetriebskritische Ansatz noch kaum erkennbar, eher keimhaft verborgen. Ich mag das Stück so, wie einer vielleicht Souvenirs aus seiner Jugend mag. Es ist vorwiegend von rationalen Prinzipien in Anlehnung an Motivtechniken Schönbergs und des späten Strawinsky geprägt, und doch ist das musikantische Element und der tänzerische Charakter, wenn auch immer anders gebrochen, erhalten geblieben. Noch nicht ausgeprägt ist hierin der Widerstand gegen Tradition, insofern deren Kategorien als herrschende Konventionen jenen zuvor erwähnten bürgerlichen Verdrängungsmechanismen unterstellt sind.
Helmut Lachenmann
Helmut Lachenmann: Marche fatale (2016/17)
Marche fatale ist eine unvorsichtig gewagte Eskapade, sie dürfte den Kenner meiner Kompositionen mehr irritieren als meine früheren Werke, von denen nicht wenige sich erst nach Skandalen bei ihrer Uraufführung durchgesetzt haben. Meine Marche fatale hat allerdings stilistisch mit meinem bisherigen kompositorischen Weg wenig zu tun, sie präsentiert sich hemmungslos, wenn nicht als Rückfall, so doch als Rückgriff auf jene Floskeln, an welche die moderne Zivilisation in ihrer täglichen „Gebrauchsmusik“ nach wie vor sich klammert, während doch die Musik im 20. und 21. Jahrhundert längst zu neuen, ungewohnten Klanglandschaften und Ausdrucksmöglichkeiten vorgedrungen ist.
Das Schlüsselwort heißt „Banalität“. Als Kunstschaffende verachten wir sie, versuchen wir, sie zu meiden – obwohl wir auch innerhalb neuer ästhetischer Errungenschaften vor dem Billig-Banalen nicht sicher sind.
Viele Komponisten haben sich gelegentlich des Banalen angenommen. Mozart schrieb Ein musikalischer Spaß, ein bewusst „dilettantisch missglücktes“ Sextett. Beethovens Bagatellen op. 119 wurden vom Verleger abgelehnt, mit der Begründung: „Daß dieses Werkchen von dem berühmten Beethoven sey, werden wenige glauben.“ Mauricio Kagel schrieb, gleichsam augenzwinkernd, Märsche, um den Sieg zu verfehlen, Ligeti schrieb Hungarian Rock, Strawinsky zitierte und verzerrte in seiner Circus Polka den berühmten, seinerzeit vierhändig komponierten, allzu beliebten Schubertschen Militärmarsch.
Ich selber weiß allerdings nicht, ob ich meine Marche fatale neben diese Beispiele einreihen soll: ich akzeptiere den Humor im Alltag, zumal dieser für manchen unter uns wohl anders nicht zu ertragen ist. In der Musik misstraue ich ihm, halte mich dafür umso enger an die tiefere Idee des Heiteren, die mit Humor wenig zu tun hat.
Indes: Ist ein Marsch mit seinem kollektiv in kriegerische oder festliche Stimmung zwingenden Anspruch nicht a priori lächerlich? Ist er überhaupt „Musik“? Kann man marschieren und zugleich hören?
Ich habe mir irgendwann vorgenommen, das „Lächerliche“ als entlarvendes Wahrzeichen unserer am Abgrund stehenden Zivilisation ernst – vielleicht bitter ernst – zu nehmen. Der – wie es scheint unaufhaltsame – Weg ins schwarze Loch alles lähmenden Ungeistes: „das kann ja heiter werden“. Meine alte Forderung an mich und meine musikschaffende Umgebung, eine „Nicht-Musik“ zu schreiben, von wo aus der vertraute Musikbegriff sich neu und immer wieder anders bestimmt, so dass der Konzertsaal statt zur Zuflucht in trügerische Geborgenheiten zum Ort von geist-öffnenden Abenteuern wird, ist hier – vielleicht? – auf verräterische Weise „entgleist“. Wie konnte das passieren?
Der Rest ist – Denken.
Helmut Lachenmann
Mark Andre: iv 1 (2010)
Mark Andre erschließt Räume. Atemberaubende Zwischenräume, die sich auftun, wenn man beginnt, feinste Differenzen zu spüren. Seine Musik macht diese Differenzen wie von selbst hörbar; mit analytischen Hinweisen hält er sich zurück und verweist eher auf die Metaphysik, die ihm viel wichtiger ist. Doch um den mikroskopisch präzisen Feinheitsgrad seiner Musik zu veranschaulichen, sei hier tatsächlich einmal ganz nah an ein winziges kompositionstechnisches Detail seines großen Klaviersolowerks iv 1 herangezoomt: „Die Kategorie der Flageolette“ beispielsweise, die durch das Spiel im Inneren des Flügels ins Blickfeld rückt, unterteilt der Komponist zunächst in „Polaritäten, zwei Begriffe aus derselben Kategorie“ – harmonische und disharmonische Flageolette. Zwischen diesen neu entdeckten Polen entfaltet sich nun ein graduelles Spiel mit feinsten Klangmöglichkeiten. In solchen Nanobereichen spielt die Musik von Mark Andre – dort, wo ein Klang gerade eben wahrnehmbar beginnt, sich von harmonisch zu disharmonisch, von stabil zu instabil oder von geschlossen zu perforiert zu verändern.
„Wir wissen aus der Astrophysik, dass es keine absolute Stille gibt. Seit dem Urknall sind überall Geräusche, die wir beobachten können. Aber ich denke, was zu laut ist, kann keine Intensität entfalten. Die steckt eher im Verklingenden, in der letzten Stufe vor dem Verklingen.“ (Mark Andre) „Mir geht es um Musik im Prozess des Verschwindens, des Entschwindens und danach. Ich suche nach dem, was nach dem Entschwinden bleibt, wahrnehmbar weiterexistiert, wenn wir unsere Möglichkeiten und unser Sensorium nutzen und fein und wagemutig schutzlos dafür offen sein lassen.“ (Mark Andre)
Text aus: Programm Wien Modern 2019
Stephan Storck: Monoduo (2021 – 2023) UA der Neufassung
Obwohl Subjekte oder Themen in dieser Komposition nicht erscheinen, ist ihre Natur polyphonisch: Vier sich verändern musikalische Ideen, erstens: Impuls und Nachklang, zweitens: Welle, drittens: simultane Oktaven und viertens: Tremolo/Repetition, sind miteinander vernetzt und behalten dennoch ihre Identität. Zum Beispiel schimmern in einem durch Repetition bestimmten Abschnitt ‚Welle‘ und ‚simultane Oktaven‘ gleichzeitig durch. Derartige Verfahren durchziehen das Stück.
Ob diese Beschreibung der Konzeption des Stückes hilfreich für den Hörer ist …?
Inwieweit Erläuterungen des Komponisten wichtig sind für die abgeschlossene Komposition …?
Stephan Storck